Symbolpolitik. Dieser Begriff kam in letzter Zeit ziemlich häufig in den Medien vor. Dabei ging es meistens um die Aufnahme von Kindern aus dem Flüchtlingslager Moria. "Kinder zu retten ist niemals Symbolpolitik" - das eindeutige Statement der Partei- und Klubvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), Pamela Rendi Wagner, brannte den Begriff in unser kollektives Gedächtnis ein. Um Symbolpolitik ging es auch bei der Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee. Auch die unterschiedlichen nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung/Eindämmung des Coronavirus beinhalten symbolpolitischen Charakter.
Was haben diese Beispiele mit den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan zu tun? Der Ursprung des Konfliktes geht auf symbolpolitische Handlungen zurück.
Als der Konflikt im Jahr 1988 entflammte, waren sowohl Armenien als auch Aserbaidschan als Unionsrepubliken Teile der Sowjetunion. In Bergkarabach, einem isolierten Gebiet in der Region der Unionsrepublik Aserbaidschan, lebten hauptsächlich Armenier. Das lokale Parlament von Bergkarabach stimmte im Jahr 1988 demnach für eine Anschließung der Region an die Unionsrepublik Armenien. Bei gewalttätigen Ausschreitungen in Askeran (einer Stadt in Bergkarabach) wurden zwei aserbaidschanische Bürger von armenischen Demonstranten getötet. Daraufhin wurde in Sumgait (einer aserbaidschanischen Stadt) die dort lebende armenische Minderheit angegriffen und bis zu 500 Armenier getötet. Diese Handlung riss die Wunden des armenischen Genozides durch das Osmanische Reich auf und verstärkte den Konflikt. Vertreibungen und kriegerische Auseinandersetzungen ähnelten einem Wettrüsten. Die in Armenien lebenden Aserbaidschaner und die in Aserbaidschan lebenden Armenier wurden vertrieben. In Bergkarabach teilte man ganze Dörfer in armenische und aserbaidschanische Gebiete auf.
Zu diesem Zeitpunkt hat die sowjetische Regierung keine Kontrolle mehr über die Gebiete. Als die Sowjetunion im Jahr 1991 selbst zerbricht und Aserbaidschan unabhängig wird, bricht der Krieg endgültig aus. Auch Bergkarabach erklärt sich im Jahr 1991 für unabhängig. Die dort lebenden Armenier sehen sich als Armenien-nahe eigenständige Republik. Für die in Bergkarabach lebenden Aserbaidschaner ist Bergkarabach aber noch immer ein Teil Aserbaidschans.
Der offene Krieg (1992)
Armenien griff im Jahr 1992 auf der Seite der Karabach-Armenier ein und es kam zu einem offenen Krieg. Die brutalen Kämpfe kosteten vielen Soldaten das Leben. Die Anzahl der Toten ist auf aserbaidschanischer Seite viermal so hoch wie auf jener der Armenier gewesen und der Krieg entwickelte sich zum nationalen Trauma für die aserbaidschanische Bevölkerung. Im Jahr 1994 endete der Krieg und das Gebiet Bergkarabach stand ab diesem Zeitpunkt unter armenischer Kontrolle. Die Armenier sind besonders stolz auf ihre Errungenschaft, denn sie haben sich trotz militärischer und zahlenmäßiger Unterlegenheit behaupten können.
Bergkarabach ist nach dem offenen Krieg ein zerstörtes Gebiet. Die dort lebende aserbaidschanische Bevölkerung wurde vertrieben und die Handelspartnerschaft zu Aserbaidschan beendet.
Bergkarabach unter armenischer Kontrolle (1994)
Der neue "unabhängige" Staat unter armenischer Kontrolle wurde von Aserbaidschan nicht anerkannt. Der Waffenstillstand wird nicht eingehalten und es kommt an den Grenzen weiterhin zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Hinzu kommt, dass der Handel zwischen den Ländern zum Stillstand kam und die wirtschaftliche Lage ihren Tiefpunkt erreichte. Friedensversuche scheitern vergeblich aufgrund der nationalistischen Regierungen beider Länder, die den Konflikt als Wahlkampfthema missbrauchten.
Aktuelle Geschehnisse (2020)
Wie bereits erwähnt, hielt der Waffenstillstand nicht und die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden sporadisch fortgesetzt. Ende September 2020 eskalierte die Situation und es kam zu den schwersten Auseinandersetzungen seit Jahren. Der armenische Regierungschef, Nikol Pischijan, wertete die Militäroperation Aserbaidschans als Kriegserklärung gegen sein Volk. Die Schuld geben sich die Länder gegenseitig. Hinzu kommen äußere Akteure wie Russland und die Türkei, die durch ihre enorme Aufrüstung dem Konflikt ein neues Gefahrenpotenzial zuschreiben. Russland bekennt sich traditionell zu Armenien und die Türkei unterstützt Aserbaidschan. Das Verhältnis der äußeren Akteure ist besonders unterkühlt und angespannt. Dies unterstreichen auch die Bürgerkriege in Syrien und Libyen, wo sie ebenfalls als Gegenspieler involviert sind. Mit dem Krieg um das Gebiet Bergkarabach entsteht nunmehr eine neue Front. Es bleibt abzuwarten, ob die internationale Staatengemeinschaft sich nach wiederholtem Zurückhalten nunmehr als Konfliktmanager zu profilieren versucht. Das ist erwünschenswert, denn ein dauerhafter Frieden kann nur unter Beteiligung der internationalen Staatengemeinschaft ausgehandelt werden. Andernfalls droht der Konflikt erneut "einzufrieren".
Ich werde die Situation weiter beobachten und den Artikel hoffentlich bald im Sinne eines Friedensschlusses aktualisieren können.
Quellen
Stenzel T. (2006). Der Konflikt um Bergkarabach: Ursachen für das Scheitern der Konfliktlösungsstrategien. Osnabrück, Deutschland: Diplomica Verlag GmbH.
Kipke R. (2012). Das armenisch-aserbaidschainisch Verhältnis und der Konflikt um Berg-Karabach (1.Aufl.). Wiesbaden, Deutschland: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
https://kontrast.at/bergkarabach-konflikt-zusammenfassung/
https://orf.at/stories/3183262/
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/berg-karabach-armenien-aserbaidschan-gefechte-100.html