Die Büste der Nofretete belastete in den Jahren 1925-1931 die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten sehr stark. Auch die Jahre danach waren von Konflikten um die Büste geprägt. Heute befindet sie sich im Archäologischen Zentrum der Staatlichen Museen zu Berlin. Dieser Beitrag beleuchtet, ob der Aufbewahrungsort der Büste das Streitthema ist oder doch mehr dahinter steckt.
Informationen zur Quelle
Wie der Titel meines Beitrages schon verrät, beziehe ich mich hauptsächlich auf die Forschungsergebnisse der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Sie stieß in den Pariser Archiven auf ein bislang unbekanntes Aktenkonvolut im Nachlass von Pierre Lacau*. In ihrem Werk werden die geschichtlichen Wurzeln des Streites thematisiert. Im Rahmen der Forschung ist sie zum Ergebnis gekommen, dass die Wurzeln des Streites in der deutsch-französische Feindseligkeit während und nach dem Ersten Weltkrieg liegen.
*Pierre Lacau war von 1914-1936 Generaldirektor der Altertümerverwaltung in Kairo, genaueres dazu findet ihr im Kapitel zur Vorgeschichte.
Buch: Bénédicte Savoy: Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre 1912-193, Köln 2011 (auch in der Hauptbibliothek der Uni Wien entlehnbar).
Der Streit um die Büste
Die Büste der Nofretete ist nicht nur ein Symbol der historischen Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, sondern auch jener zwischen Frankreich und Großbritannien. Savoy unterstreicht in ihrem Werk häufig die Rivalitäten zwischen der französischen Altertümerverwaltung in Kairo und dem unter britischer Militärverwaltung stehenden Ägypten - denn als die Büste der Nofretete gefunden wurde, stand Ägypten unter britischer Herrschaft (1882-1922). Für die Pflege und Überwachung der archäologischen Denkmäler war Frankreich zuständig. Laut Savoy gingen die französischen Beamten der Altertümerverwaltung, vor 1914, äußerst großzügig mit der Fundaufteilung um. Sie haben die Ausfuhr von sehr vielen und vor allem äußerst wichtigen Fundstücken in die USA, nach Italien, Großbritannien, etc. genehmigt. Zu dieser Zeit wurde auch die Büste der Nofretete, bei Ausgrabungen im Jahr 1912, von Ludwig Borchardt entdeckt. Diese Ausgrabungen wurden von James Henry Simon, einem Unternehmer aus Berlin, finanziert. Aus diesem Grund wurde die Hälfte der Fundgegenstände, darunter auch die Büste, vertragsgemäß zu ihm nach Berlin gebracht. Die andere Hälfte der Fundgegenstände stand dem ägyptischen Staat zu. Soweit so gut.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es jedoch zu einem Personalwechsel an der Spitze der Antikenverwaltung in Kairo und Pierre Lacau übernahm die Leitung. Der neue Direktor hatte aufgrund seiner eigenen Schützengrabenerfahrungen einen enormen Hass auf die Deutschen. Es war bekannt, dass er die deutsche Wissenschaft für den deutschen Militarismus bluten lassen wollte. Folgende Worte schrieb Lacau im Jahr 1919 an einen Kollegen, der sich für die deutschen Wissenschaftler einzusetzen versuchte:
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die wissenschaftlichen Interessen uns erlauben zu vergessen. Die Gelehrsamkeit eines Mörders entschuldigt nicht sein Verbrechen, sie macht es nur noch schändlicher. Eine Nation kann wirkliche Gelehrte und eine vollkommen niedere Seele haben: der Beweis ist erbracht. Sollen die Verdienste von einigen die von anderen begangenen Gräueltaten überdecken?“
Mit seiner Übernahme kommt es auch zu einem anderen Bewusstsein und Umgang mit Fundstücken. Während in Ägypten das Bewusstsein für Fundgegenstände stieg und Umstrukturierungen der Antikenverwaltung liefen, vermachtete James Simon seine gesamte Sammlung dem Deutschen Kaiserreich. Teile der Sammlung, darunter auch die Büste der Nofretete, wurden erstmals im Jahr 1924 im Ägyptischen Museum Berlin veröffentlicht. Nach der Veröffentlichung forderte Pierre Lacau die Rückgabe der Nofretete. Die Rückforderung begründete er mit dem moralischen Recht am Kunstwerk, weil er aufgrund eines Gerichtsurteils keinen rechtlichen Anspruch hatte. Dazu ein Zitat von ihm:
"Wir geben zu, dass alles regelrecht (bei der Fundteilung) verlaufen ist. Wenn es einen Fehler gegeben hat, ist es der unsrige", erklärte Lacau 1925 den Mitgliedern des Komitees für Ägyptologie in Kairo, nachdem er "alle Umstände genauestens geprüft hatte". Und: "Unsere Behörde ist vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen wehrlos."
Die rechtliche Wehrlosigkeit hielt den verbissenen Direktor nicht zurück. Er versuchte es mit allen Mitteln weiter und erließ im Jahr 1924 gegen die Deutschen eine Grabungssperre am Nil. Schließlich gelang es ihm im Jahr 1930 einen Vertrag für den Austausch der Büste gegen zwei Statuen aus dem Museum in Kairo auszuarbeiten. Dieser Austausch konnte jedoch aufgrund von heftigen Widerständen der deutschen Bevölkerung nicht ausgeführt werden. Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring entschied im Jahr 1933, dem ägyptischen König Fuad I die Büste zu schenken. Als jedoch Adolf Hitler vom Vorhaben seines Mitstreiters erfuhr, widerrief er alles. Es gibt sogar Quellen, wonach Joseph Göbbels 1934 bei einem Mittagessen mit seinem "Führer" erneut versuchte, Hitler den propagandistischen Wert des Transfers schmackhaft zu machen. Adolf Hitler hatte jedoch andere Pläne für die Schönheit, er meinte nämlich: "Ich werde ihr ein Museum in Berlin bauen."
Zahi Hawass, der langjährige Leiter der ägyptischen Altertümerbehörde (2002-2011) versuchte ebenfalls mehrmals die Rückgabe der Büste zu erreichen. Er stieg sogar im Zuge der Revolutionswirren zum Minister auf. Seine Bestrebungen blieben konstant, jedoch erfolglos. Im Jahr 2011 wurde er vom Strafgericht im Kairoer Stadtteil Giza wegen Missachtung eines früheren Gerichtsurteils in einem Landstreit zu einem Jahr Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Die Staatsanwaltschaft in Kairo ermittelte auch wegen Korruption und illegalen Antiquitätenhandels gegen ihn. Damit kam es zu einem vorläufigen Ende der Bemühungen um die Wiedererlangung der Büste der Nofretete.
Entscheidend für Bénédicte Savoy ist jedoch die Frage nach der Verantwortung Europas im Umgang mit dem im 19. und 20. Jahrhundert erworbenen kulturellen Eigentum fremder Länder beziehungsweise der Restitution dieser Kulturgüter. Sie ist der Meinung, dass dies eine der großen, zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts ist.
In diesem Zusammenhang wird z.B. auch das Weltmuseum oft wegen seines Umgangs mit kolonialen Kulturgütern kritisiert. Weitere Zeitungsartikel dazu:
- https://www.derstandard.at/story/2000092338132/weltmuseum-kuratorin-zu-kolonialismus-es-gibt-ganz-grosse-luecken
- https://www.derstandard.at/story/2000109976466/ethnologin-plankensteiner-zu-kolonialismus-sollten-objekte-zurueckgeben
- https://www.derstandard.at/story/2000066466165/weltmuseum-wiedereroeffnung-voelkerverbindung-bei-licht-und-schatten
Quellen
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/affaire-nofretete-in-neuem-licht
Anton Michael, Illegaler Kulturgüterverkehr - Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Berlin 2010.
Mahmoud Kassim, Die Diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten - 1919-1936, Hamburg 2000.